Das grosse Nachhaltigkeits-Interview
Gut aufgestellt, aber noch ein weiter Weg
Mit dem Pariser Klimaabkommen haben nachhaltige Geldanlagen im Finanzsektor richtig Fahrt aufgenommen. Wegen des dringenden Handlungsbedarfs hat die Politik das Heft in die Hand genommen. Die nötigen Regulierungen haben in den vergangenen Jahren daher weltweit exponentiell zugenommen. Nachhaltige Geldanlagen werden bald «mainstream» bzw. «The New Normal» sein. Wichtig ist, dass in Unternehmen Nachhaltigkeit in der Unternehmenskultur und auf strategischer Ebene verankert ist und vorgelebt wird. Hier liegt die Stärke vom Finanzplatz Liechtenstein, da Nachhaltigkeit schon lange zu unseren Kernwerten gehört. Gelebtes und glaubwürdiges, verantwortungsvolles Handeln ist folglich ein Differenzierungsmerkmal für Liechtenstein. Wir haben schon einiges erreicht, sind aber sicher noch nicht dort, wo wir gerne wären, geschweige denn wo wir hinwollen. Eine grosse Herausforderung ist beispielsweise, wie der technologische Wandel für die Transformation der Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit genutzt werden kann.
Mehr im nachfolgenden Interview mit Simon Tribelhorn im Volksblatt vom 11. April 2019
Herr Tribelhorn, in der Roadmap 2020 des Liechtensteinischen Bankenverbands ist der Bereich Nachhaltigkeit einer der drei strategischen Hauptpfeiler. Weshalb eigentlich?
Nachhaltigkeit ist eine Einstellungs- und Kulturfrage. Sie ist damit Ausdruck davon, welche Werte jemandem wichtig sind. Für Unternehmen bedeutet dies, dass Nachhaltigkeit in der Unternehmenskultur und auf strategischer Ebene verankert sein und somit auch von oben vorgelebt werden muss. Und gerade hier sehe ich auch die grosse Stärke und Chance für unseren Finanzplatz. Nachhaltigkeit gehört nicht erst seit dem Pariser Klimaabkommen und den Nachhaltigen Entwicklungszielen von 2015 zu den Kernwerten unseres Handelns. Mit der Roadmap 2015 und dann deren Fortsetzung in der Roadmap 2020 haben wir dies lediglich für uns verschriftlicht und nochmals bewusst als Leitprinzip festgehalten.
Mein Eindruck mag täuschen, aber das Thema Nachhaltigkeit taucht seit Jahren immer wieder einmal auf – fast schon wie ein Modewort, was bei der Wichtigkeit des Themas völlig kontraproduktiv ist. Sind wir nicht einfach wieder in einer Hype-Phase?
Über Nachhaltigkeit wird in der Tat schon lange gesprochen. Für die einen ist es Ausdruck einer Überzeugung für andere leider nur cool, ein Moderwort oder ein Marketinggag. Der Begriff wurde und wird teilweise immer noch arg strapaziert. Er hat sich deshalb fast schon zu einem Unwort entwickelt. Ich höre von vielen, dass sie «Nachhaltigkeit» als Begriff gar nicht mehr hören können. Das ist unschön, denn es schadet der Akzeptanz und der Glaubwürdigkeit derer, die sich engagieren und Verantwortung übernehmen. Ich bin davon überzeugt, dass dies mitunter ein Grund war, weshalb sich das Thema im Finanzbereich nicht bereits früher durchgesetzt hat. Erst mit dem Pariser Klimaabkommen haben nachhaltige Geldanlagen im Finanzsektor so richtig Fahrt aufgenommen. Man kann dies als Geburtsstunde bezeichnen, da ab dann die Politik wegen des dringenden Handlungsbedarfs das Heft in die Hand genommen hat. Seither geht die Post ab. Die Regulierungen haben in den vergangenen Jahren in diesem Bereich weltweit exponentiell zugenommen. Wir befinden uns heute also an einem ganz anderen Punkt. Nachhaltige Geldanlagen sind schon bald «Mainstream» bzw. «The New Normal».
Aber was heisst denn nun Nachhaltigkeit. Der Begriff als solcher ist ja sehr abstrakt und wenig greifbar. Wie würden Sie diesen Begriff erklären?
Vereinfacht gesagt, geht es darum, seiner Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und Umwelt nachzukommen. Das soll sich auch in der Art und Weise, wie Geld angelegt ist, zeigen und neben den anderen Faktoren wie Rendite und Liquidität berücksichtigt werden. Zu diesem Zweck hat sich in der Finanzindustrie der sogenannte ESG-Ansatz als Standard für nachhaltige Geldanlagen etabliert. «ESG» steht dabei für Environmental, Social und Governance, also für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Aktuell wird auf politischer Ebene zu Recht der Fokus auf ökologische Aspekte gelegt. Denn im Klimaabkommen von Paris von 2015 wurde das Ziel vereinbart, den Temperaturanstieg auf 2 Grad zu beschränken. Um dies zu erreichen, braucht es allein in der EU ein Investitionsvolumen von zusätzlich rund EUR 180 Milliarden. Allerdings sind die Herausforderungen, mit denen wir als Gesellschaft konfrontiert sind, weitaus vielschichtiger und komplexer. Ebenfalls im 2015 haben deshalb die Vereinten Nationen 17 nachhaltige Entwicklungsziele («Sustainable Development Goals» oder SDGs) verabschiedet. Das jährliche weltweit nötige Investitionsvolumen um diese zu erreichen, beläuft sich gemäss dem Beratungsunternehmen PWC sogar auf 7 Billionen US-Dollar. Zurzeit wird nur gerade ein Siebtel davon durch öffentliche Hand finanziert. Ein substanzieller Teil muss somit von der Privatwirtschaft kommen. Genügend Kapital wäre grundsätzlich vorhanden, denn allein die von institutionellen Investoren auf der ganzen Welt verwalteten Vermögen belaufen sich auf rund 83 Billionen US-Dollar. Der Finanzsektor und die Banken im Speziellen können und müssen somit eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung und Kanalisierung dieser finanziellen Mittel spielen. Dies bringt gerade für unseren Finanzplatz auch eine grosse Chance mit sich. Die Frage wird schon bald nicht mehr lauten: Warum nachhaltig, sondern warum nicht?
Das klingt ja beinahe zu schön, um wahr zu sein. Einfache Investments, im Zuge der Digitalisierung vielleicht sogar auch dem Smartphone mit zwei Klicks, damit nachhaltige Projekte unterstützen, trotzdem Rendite erwirtschaften und dabei auch noch die Welt retten. Wenn nun jemand behaupten würde, dass dies naiv ist, was würden Sie dem entgegnen?
Dies ist nicht naiv oder futuristisch. Es bedeutet einfach, dass man die Zeichen der Zeit erkannt und zudem noch einen Plan hat. Es braucht gerade jetzt Leute, die sich genau das zum Ziel nehmen und es konsequent umsetzen, das heisst Leadership übernehmen. Man muss mittlerweile kein Visionär mehr sein, um zu erkennen, dass Nachhaltigkeit unsere Zukunft ist.
Der Bankenverband hat sich das Thema Nachhaltigkeit etwa im Jahr 2011 auf die Fahne geschrieben. Was wurde bislang tatsächlich in der Praxis erreicht?
Wir haben einiges erreicht, sind aber sicher noch nicht dort, wo wir gerne wären, geschweige denn wo wir hinwollen. Unsere Bemühungen haben aber die Entwicklungen auf internationaler und europäischer Ebene in die Hände gespielt. Gerade in den vergangenen beiden Jahren konnten wir einige Meilensteine umsetzen. So haben wir uns dem Financial Centres for Sustainability angeschlossen, einem internationalen Netzwerk für nachhaltige Geldanlagen. Zudem haben wir im Verband eine dedizierte Nachhaltigkeits-Expertengruppe bestehend aus allen Mitgliedsbanken eingesetzt und damit die Voraussetzungen geschaffen, das Thema sustainable finance durch Erfahrungsaustausch, best practices sowie Aus- und Weiterbildung auf dem Finanzplatz fest zu verankern. Schliesslich haben wir im vergangenen Jahr eine grosse, internationale Konferenz zu nachhaltigem Investieren durchgeführt und damit eine Plattform geschaffen, um neue Lösungsansätze zu diskutieren.
Ist dies genug, um das Thema aus der Nische zu holen und die breite Masse der privaten Anleger für dieses wichtige Thema zu sensibilisieren?
Ganz klar nein! Wir in Liechtenstein - wie die Finanzindustrie insgesamt - haben noch einen langen Weg vor uns. Die grösste Herausforderung haben wir noch vor uns, nämlich wie wir den technologischen Wandel für die Transformation der Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit nutzen.
Lassen Sie mich das doch einmal zuspitzen: Nehmen wir an, ich wende mich an meinen Kundenberater mit dem Wunsch, mit einer Anlage gleichzeitig den Hunger in der Welt bekämpfen zu wollen. Wenn es sein muss, sogar mit der Bereitschaft, auf etwas Rendite zu verzichten und vielleicht auch ein etwas höheres Risiko einzugehen. Glauben Sie, dass mir mein Berater eine entsprechende Empfehlung für ein konkretes Produkt machen kann?
Sicher. Vielleicht nicht für ein einzelnes Produkt, weil das aus Gesamtsicht im Rahmen einer Vermögensberatung und je nach Situation nicht viel Sinn macht. Man muss folglich das ganze Portfolio ansehen. Gerade hier wird in dieser Richtung aber einiges gemacht. Beispielhaft seien das LGT Sustainability Rating für Aktien, Obligationen, Fonds und ETFs für Privatanleger, die Öko- und Renovationshypothek der LLB oder die Vermögensverwaltungslösung Primus Ethik der Neuen Bank erwähnt.
Ist dies nicht ein grundsätzliches Problem? Für Anleger gibt es für fast jeden Anlagetyp entsprechende Produkte in einer kaum zu überblickenden Vielzahl. Aber mangelt es nicht an «massentauglichen» nachhaltigen Produkten, die leicht verständlich, transparent und sicher sind, und dabei eben auch noch Rendite versprechen?
Eine gute und berechtigte Frage. Allerdings haben allein die nachhaltigen Investmentfonds in der Schweiz zwischen 2014 und 2015 von 71 auf 191 Milliarden Franken mehr als verdoppelt. Und dieser Trend hat sich bis heute sogar noch verstärkt. Die an der Londoner Börse gelisteten grünen Fonds haben sich in den vergangenen fünf Jahren sogar verdreifacht und umfassen eine breite Palette von sauberen Technologien bis hin zu erneuerbaren Energieprojekten. Finanzprodukte gibt es somit bereits eine grosse Vielzahl, aber sicher noch nicht genug. Es ist klar, dass noch mehr Finanzprodukte, die in energieeffiziente und klimaverträgliche Unternehmen und Projekte investieren, geschaffen werden müssen.
Für Liechtenstein gibt es leider noch wenig Zahlenmaterial. Nebst dem Datenmaterial fehlten uns lange auch fundierte und schlagende Argumente, um darzulegen, dass bzw. warum gerade die liechtensteinischen Finanzprodukte sehr nachhaltig sind und den Bedürfnissen nachhaltig orientierter Anleger entsprechen. Daher haben wir im 2016 zusammen mit dem Liechtensteinischen Anlagefondsverband und der Vereinigung liechtensteinischer gemeinnütziger Stiftungen eine Nachhaltigkeitsstudie durchgeführt. Ziel der Analyse war es, die Portfolioqualität von im Land domizilierten Aktienfonds im Hinblick auf die ESG-Faktoren zu messen. Wir wollten also der Frage nachgehen, bis zu welchem Grad die aufgelegten Aktienfonds diesen Kriterien bereits gerecht werden. Die Resultate waren beeindruckend. Über 50 in Liechtenstein domizilierte Aktienfonds erlangten eine ausgezeichnete ESG Bewertung. 60 Prozent der im ESG-Marktbericht Liechtenstein ausgewiesenen Aktienfonds erzielten sogar ein ESG-Fondsrating von «A» oder besser. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass zahlreiche hiesige Aktienfonds die ESG-Kriterien zu einem hohen Grad bereits erfüllen. Der Schlüssel wird also auch darin liegen, das Angebot und das Know-how weiter auszubauen, Transparenz zu schaffen und unsere Kunden entsprechend aktiv zu informieren und zu beraten.
Steht der Bankenverband hier nicht auch in der Verantwortung? Seit Jahren wird in verschiedenen Publikationen immer wieder betont, dass Nachhaltigkeit durchaus zu einem ernstzunehmenden Standbein des Finanzplatzes werden könnte. Ganz konkret: Hat der Bankenverband Pläne, das Thema wesentlich stärker am Finanzplatz zu verankern?
Ja, wir sehen uns klar in der Mitverantwortung. Unser Ziel ist es dieses Jahr, mit allen Banken eine umfassende Bestandesaufnahme im gesamten Nachhaltigkeitsbereich zu machen - über alle Geschäftsbereiche und alle Unternehmensebenen. Dieser Prozess läuft bereits. Es geht uns darum, das Chancen- und Risikopotenzial zu kennen und dann einen gezielten Massnahmenplan auf Ebene Bankenverband festlegen zu können. Zudem werden wir unsere Mitglieder im Hinblick auf die bevorstehende EU-Regulierung bestmöglich unterstützen.
Obwohl sich die Technik in den vergangenen Jahren massiv entwickelt hat, ist sie immer noch weit davon entfernt, dass jeder mit seinem Telefon mit nur einem Klick, ein Projekt zur Aufforstung des Regenwaldes in Südamerika finanziell unterstützen kann. Bei Onlinehändlern kann man heutzutage mit einem Klick von der Büroklammer bis zu Waschmaschine so ziemlich alles bestellen. Für mich sieht das so aus, als ob das Interesse an entsprechenden Finanzprodukten dann eben doch nicht so gross ist.
Das würde ich so nicht sagen. Auch auf der Nachfrageseite hat sich einiges getan. Allein in der Schweiz wird die aktuelle Nachfrage auf rund 700 Milliarden Franken geschätzt und übersteigt damit das Angebot bei Weitem. Die fortschreitende Digitalisierung wird vieles vereinfachen. Zum einen wird sie uns helfen, die Prozesse zu automatisieren, Kosten zu senken und positive Skaleneffekte zu erzielen. Zum anderen war lange ein Hindernis, dass die effektive Wirkung eines Investments oder Portfolios hinsichtlich der ESG-Faktoren nur schwer quantifizier- und messbar war. Mit Hilfe der Digitalisierung wird dies in naher Zukunft viel leichter und besser gehen.
Nun hat die Regierung in ihrer kürzlich vorgestellten Finanzplatzstrategie das Thema Nachhaltigkeit aufgenommen. Nachhaltiges Handeln solle als Bestandteil der Kultur auf dem Finanzplatz Liechtenstein bereits jetzt etabliert werden, heisst es dort. Der LBV hat postwendend reagiert und gefordert, dass die Regierung auch dieses Thema als wichtigen zukünftigen Wettbewerbsfaktor sieht und sich für «optimale Rahmenbedingungen» einsetzt. Das klingt danach, als wäre Liechtenstein auf der politischen Ebene nicht so weit vorne dabei, wie Sie es gerne hätten. Was wiederum überrascht, wenn das Thema schon so lange auf dem Tisch liegt und die Wege so kurz sind, wie immer wieder gerne betont wird.
Ähnlich wie bei den internationalen Standards in Steuersachen, wird sich die Frage stellen, ob wir first mover, Mitschwimmer oder Nachzügler sein wollen. Letzteres ist sicher keine Option. Bei der Digitalisierung hat Liechtenstein mit dem Blockchain-Gesetz eine Vorreiterrolle übernommen. Dasselbe sollten wir gemeinsam im Nachhaltigkeitsbereich tun Aus diesem Grund begrüssen wir, dass die Regierung das Thema Nachhaltigkeit in der Finanzplatzstrategie aufgenommen hat. Das zeigt, dass ihr das Thema ebenfalls wichtig ist und unsere Ansicht in Bezug auf das Chancenpotenzial sowie den Handlungsbedarf teilt.
Wenn wir schon bei der Politik sind: Im Mai vergangenen Jahres hat die EU-Kommission einen Vorschlag für ein umfangreiches Regulierungspaket zur Finanzierung von nachhaltigem Wachstum publiziert. Was passiert da in Brüssel?
Die EU ist im Bereich nachhaltige Geldanlagen ganz klar Taktgeber. Das Regulierungspaket will dem Pariser Klimaabkommen und den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen Nachdruck verleihen. Es besteht aus vier konkreten Vorschlägen: Erstens einer einheitlichen Taxonomie bzw. eines EU-Klassifizierungssystems nachhaltiger Finanzprodukte, um Klarheit zu schaffen, was als nachhaltig gilt und was nicht. Zweitens der Verpflichtungen für Institutionelle Investoren zur Integration der ESG-Kriterien in ihre Anlageentscheide. Drittens der Entwicklung sogenannter low-carbon benchmarks sowie viertens Anpassungen sämtlicher Wertpapierregulierungen zwecks Berücksichtigung und Integration der ESG-Kriterien in den Anlage- und Beratungsprozess. In Bezug auf dieses Teilpaket haben das Europäische Parlament und die EU-Mitgliedstaaten gerade vor etwa einem Monat eine weitreichende politische Einigung erzielt Eine neue Verordnung wird alles regeln.
Nun wissen wir alle, dass vieles, was in Brüssel entschieden wird, irgendwann in Vaduz ankommen wird. Können Sie bereits heute abschätzen, welche politischen Entwicklungen hier in den kommenden Jahren zu erwarten sein werden?
Ja. Wir können das zum Beispiel gerade konkret anhand der vorher erwähnten EU-Verordnung durchspielen. Sie passt zahlreiche zentrale EU-Erlasse im Finanzdienstleistungsbereich an - zum Beispiel die MiFID II - und erfasst damit sektorübergreifend die gesamte Finanzdienstleistungsbranche. Als Verordnung sind die neuen Vorschriften direkt anwendbar. Es bedarf also keiner Umsetzung ins nationale Recht. Und sie ist von Relevanz für den EWR und damit auch für Liechtenstein. Bereits 12 Monate nach Veröffentlichung ist sie anzuwenden. Die Dynamik ist also enorm. Ich glaube, dass dies, sowohl in der Tragweite als auch was das Tempo betrifft, noch von vielen unterschätzt wird.
Die Finanzindustrie stöhnt seit vielen Jahren über immer mehr Regulationen. Glauben Sie wirklich, dass hier nun offene Türen eingerannt werden, sich mit neuen Regulationen auseinanderzusetzen, in einem Themenbereich, der derzeit vergleichsweise nur ein Nischendasein fristet?
Der Zyklus, in dem Gesetze überarbeitet oder neu geschrieben werden, hat sich in den letzten Jahren massiv verkürzt. Als Reaktion auf die Finanzkrise kam es zu einer Überregulierung sondergleichen, die auch in einem massiven Kostenanstieg bei den Instituten geführt hat. Nichtsdestotrotz haben wir uns nie grundsätzlich gegen Regulierung ausgesprochen, sondern vielmehr gegen unnötige und für eine praxisorientierte, massvolle und proportionale Regulierung. Im Klimabereich hat die Politik lange mit Regulierungen zugewartet. Wenn man sich die Dringlichkeit und Wichtigkeit der gesetzten Ziele von Paris und der UNO vor Augen hält, dann kommt man zum Schluss, dass es jetzt Regulierung braucht. Oder in den Worten von Paul Achleitner am diesjährigen Finance Forum: «Regulierung ist die Reaktion auf wahrgenommenes Marktversagen.» Regulierung bietet den nötigen Orientierungsrahmen und Rechtssicherheit. Nachhaltigkeit wird zudem immer mehr auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Es muss sichergestellt sein, dass wo Nachhaltigkeit draufsteht, auch Nachhaltigkeit drin ist. Es hat keinen Platz mehr für green washing. Folglich braucht es Transparenz.
Und die Renditen? Gehen nachhaltige Anlagen zulasten der Renditeerwartungen?
Nein, dieser Mythos hat sich zu lange gehalten. Das Gegenteil ist der Fall. Untersuchungen haben gezeigt, dass es bereits in den vergangenen acht Jahren zwischen der Performance des MSCI World- und dem MSCI World ESG-Leader-Index nur geringe Unterschiede gegeben hat. Gemäss der Bank von England haben in fast allen der von ihr untersuchten 2000 Studien die nachhaltigen Anlagen renditemässig genauso gut oder sogar besser abgeschnitten. Nicht nachhaltige Anlagen bergen also heute schon für langfristige Investoren höhere finanzielle Risiken, was über die Zeit zu einer geringeren Rendite führen wird. Künftig wird sich das aber noch verstärken, da ökologische und soziale Aspekte sowie die damit verbundenen Risiken noch mehr eingepreist werden, was sich negativ auf die Rendite auswirken wird.
Es dürfte weitestgehend Einigkeit darüber bestehen, dass die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen und die Pariser Klimaziele nur mittels nachhaltiger Anlagen finanziert werden können. Vielerorts demonstrieren Schüler mittlerweile regelmässig für den Klimaschutz. Entsteht hier nicht bereits eine Generation von Digital Natives, für die nachhaltige Anlangen künftig zum absoluten Standard gehören werden, woraus sich für uns heute bereits der Handlungsbedarf erklärt?
Absolut. Gemäss dem Global Impact Investing Network (GIIN), welchem 1300 sogenannter Impact Investoren angehören, hat sich das Volumen der wirkungsbezogenen Anlagen in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt und beträgt schätzungsweise 502 Milliarden US-Dollar. Diese Zunahme wird in erster Linie den Millennials zugeschrieben. Darüber hinaus werden in den nächsten 20 Jahren rund 460 Milliardäre rund 2.1 Billionen US-Dollar an die nächste Generation vererben. Dies bedeutet, dass auch die sogenannten High Net Worth Individuals (HNWI) und insbesondere die junge Generation eine tragende Rolle spielen werden. Diese Generation wird weniger durch materiellen Reichtum angetrieben, als vielmehr durch Werte. Sie möchte Umwelt und Gesellschaft verändern. So interessiert die Millennials nicht bloss die kurzfristige Performance, sondern auch die Frage, ob ihr Geld sinnstiftend und verantwortungsvoll investiert wird. Im Übrigen kann auch die jüngere Generation rechnen. Ökologische und soziale Aspekte und die damit verbundenen Risiken werden in Zukunft mehr eingepreist werden müssen. Längerfristig orientierte Anleger sind sich bewusst, dass die nicht nachhaltigen Anlagen finanzielle Risiken bergen und somit auch ökonomisch weniger rentieren werden. Und hier schliesst sich der Kreis zur Digitalisierung. Es ist nämlich diese Generation, für die der tägliche Gebrauch der digitalen Technologien eine Selbstverständlichkeit ist.
Sie haben nun vereinfacht ausgedrückt aufgezeigt, dass sowohl Bedürfnisse und Notwendigkeiten bestehen, dass das Geld grundsätzlich vorhanden ist und dass Bewegung in die Politik kommt, um mit nachhaltigen Anlagen, sprichwörtlich etwas zu bewegen. Es scheint so, als ob all diese Gegebenheiten nun «nur» noch zusammengeführt werden müssten. Was also, glauben Sie, muss nun geschehen, damit das Thema nachhaltige Anlagen tatsächlich künftig nicht nur zu einem strategischen Hauptpfeiler des Bankenverbandes, sondern des gesamten Finanzplatzes wird?
Gelebtes und glaubwürdiges, verantwortungsvolles Handeln ist nicht nur eine Pflicht, sondern auch ein Differenzierungsmerkmal. Insbesondere dann, wenn es uns gelingt, dies noch besser als einen integralen Bestandteil der Kultur auf dem gesamten Finanzplatz zu etablieren. Hierfür braucht es eine partnerschaftliche, koordinierte Zusammenarbeit zwischen Staat, Wirtschaft, den Verbänden und der Wissenschaft sowie einen strukturierten Prozess.